Rhetorische Figuren
Die Figura kommt aus dem Lateinischen und meint ein ,plastisches Gebilde‘. So kommt es, dass sich in dem Begriff ,rhetorische Figur‘, der sich im Verlauf des letzten vorchristlichen Jahrhundert zu dem bis heute gängigen fachsprachlichen Terminus der Rhetorik etablierte, Bedeutungsfacetten wie äußere Erscheinung, Form (forma), Licht (lumen) Ausschmückung (exornatio), Bewegung oder auch Verwandlung ineinander vermischt finden.
I Klangfiguren
Sie bilden eine Teilmenge der rhetorischen Figuren und bezeichnen alle Stilmittel, die eine Assoziation durch den Klang der von ihnen veränderten Worte hervorrufen wie zum Beispiel folgende:
Alliteration [‚letter‘: Buchstabe]
ist die Gleichheit der Anfangslaute von mindestens zwei aufeinanderfolgenden oder benachbarten Wörtern einer syntaktischen Einheit.
Milch macht müde Männer munter.
Fischers Fritze fischt frische Fische.
Brautkleid bleibt Brautkleid und Blaukraut bleibt Blaukraut.
Assonanz [sonare: klingen]
ist die Gleichheit oder Ähnlichkeit eines Vokals oder einer Lautfolge von mindestens zwei aufeinanderfolgenden oder benachbarten Wörtern einer syntaktischen Einheit.
ottos mops (Ernst Jandl)
ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso
Onomatopoiie
ist eine Nachahmung eines Lautes aus der Natur.
Kuckuck, Zilpzalp, kikeriki
Polyptoton
ist eine Wiederholung desselben Wortes in verschiedenen Flexionsformen in syntaktischer Verbindung.
Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. (Original: homo homini lupus.)
II Positionsfiguren
Positionsfiguren beziehen sich auf die die Stellung der Wörter in einem Satz. So gibt es drei verschiedene Wirkungsbereiche: Wortwiederholung, Satzebenenstruktur, Wortumstellung.
II.1 Wortwiederholung
Geminatio
ist eine Verdoppelung, eine Wiederholung eines Wortes oder einer Wortgruppe innerhalb einer Periode.
Mein Vater, mein Vater…
Tor, Tor, …
Wirkung: Diese Wortwiederholung soll Spannung hervorrufen.
Anapher
ist eine zwei- oder mehrfache Setzung eines Wortes oder derselben Wortgruppe am Anfang aufeinanderfolgender syntaktischer Einheiten.
„Wer soll nun die Kinder lehren und die Wissenschaft vermehren?
Wer soll nun für Lämpel leiten seines Amtes Tätigkeiten?“
aus: „Max und Moritz“, Wilhelm Busch
Wirkung: Diese Anapher meint einen Neuansatz und soll ebenso Spannung erzeugen.
Epipher
ist eine zwei- oder mehrfache Setzung eines Wortes oder derselben Wortgruppe am Ende aufeinanderfolgender syntaktischer Einheiten.
„Ich bin unglücklich.
Ich habe zwei Arme, zwei Beine, bin bei bester Gesundheit und dennoch unglücklich.
Ich habe ein quicklebendiges Kind, das wohlauf ist, ein wunderbares Kind, und doch bin ich unglücklich.
Ich habe einen interessanten Beruf, verdiene nicht schlecht, habe eine schöne Wohnung und bin unglücklich.
Meine Frau ist schön, intelligent, und ich bin unglücklich.
Viele Menschen wären gern an meiner Stelle, im Leben, im Bett, und ich bin unglücklich.
Ich bin privilegiert und unglücklich.“
aus: I. Minière: Ein ganz normales Paar. 2007, S. 161.
II.2 Satzebenenstruktur
Parallelismus
ist ein syntaktisch paralleler Bau von mindestens zwei Satzeinheiten.
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht.
Das = best. Artikel Nom. / Schiffchen = Substantiv Nom. / fliegt = Verb 3.P.Sg.Präs.
der = Artikel / Webstuhl = Substantiv Nom. / kracht = Verb 3.P.Sg.Präs.
aus: Heinrich Heine: Die schlesischen Weber.
Chiasmus [griech. chi = ‚Christ‘ wie in X-Mas]
ist eine Überkreuzstellung sich syntaktisch entsprechender Wörter.
„Eng ist die Welt und
das Gehirn ist weit.“
aus: Friedrich Schiller: Wallenstein
Polysyndeton
ist etwas Vielverbundenes, eine mehrfache Wiederholung derselben und bedeutungsgleicher Konjunktionen.
Sie wiegen und tanzen und singen dich ein.
aus: Johann Wolfgang von Goethe: Die Ballade vom Erlkönig.
Asyndeton
ist etwas Unverbundenes, eine Aneinanderreihung gleichwertiger Einzelwörter bzw. Satzeinheiten ohne Bindewort.
Stehlen, morden, huren, balgen –
Heißt bei uns nur die Zeit zerstreuen. –
Morgen hangen wir am Galgen, –
drum laßt uns heute lustig sein.
aus: Friedrich Schiller: Die Räuber.
II.3 Wortumstellung / Trennung
Inversion
ist eine Umstellung, eine Umkehrung der üblichen grammatischen Wortstellung.
Vater unser im Himmel (Gebet)
Röslein rot (aus: Johann Wolfgang von Goethe: Heidenröslein)
Hyperbaton
ist eine Sperrstellung, eine Trennung syntaktisch zusammenhängender Wörter.
Der Worte sind genug gewechselt.
aus: Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie Erster Teil)
Parenthese
ist ein Satzeinschub bzw. ein Einschub eines Satzes in einen anderen.
Ich sei, gewährt mir die Bitte, / In eurem Bunde der Dritte!
aus: Friedrich Schiller: Die Bürgschaft.
III Sinnfiguren
Sie beziehen sich auf Textteile oder ganze Texte und ordnen darin den Gedankengang. Sinnfiguren werden unterteilt in: 1. Verkappung, Verschiebung, des Konstruktionsbruches und der Redundanz und 2. Gedankenzuspitzung.
III.1 Verknappung, Verschiebung, des Konstruktionsbruchs und der Redundanz
Ellipse
ist eine Auslassung eines Wortes oder gar ganzer Redeteile.
Ende gut, alles gut.
Zeugma
ist eine Beziehung eines Satzteils, u.a. des Prädikats, auf zwei oder mehrere Satzglieder, während es semantisch nur zu einem Glied passt.
Als Viktor kam zu Joachime: hatte sie Kopfschmerzen und Putzjungfern bei sich.
aus: Jean Paul: Hesperus oder 45 Hundsposttage.
Hysteron proteron
ist die Erstnennung eines eigentlich späteren Ereignisses.
Gleichwohl, als der Knecht schreckenblass, wenige Momente nachdem der Schuppen hinter ihm zusammenstürzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr.
aus: Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas
Er zog sich Schuhe und Socken an.
III.2 Gedankenzuspitzung
Klimax
ist eine Leiter, Treppe, eine Steigerung vom schwächeren zum stärkeren Ausdruck. Umgekehrt handelt es sich um einen Antiklimax.
Ich habe gebeten, gebettelt, auf Knien gefleht.
Veni, vidi, vici.
Antithese
ist eine Gegenüberstellung von Gegensätzen oder Gegenbehauptungen.
Ich schlafe am Tag, in der Nacht wache ich.
Heute sind wir noch am Leben. Morgen werden wir sterben.
Oxymoron
ist etwas Scharfdummes, eine syntaktische Verbindung widersprüchlicher (sich ausschließender) Begriffe.
Schwarze Milch der Frühe, alter Knabe, Hassliebe…
Paradoxon
ist etwas Unerwartetes, eine scheinbar widersprüchliche Aussage.
Es ist beinahe schon komisch,
wenn sich zwei Glatzen in die Haare kriegen.
IV Satzfiguren
Sie determinieren alle Stilmittel, die eine besondere Struktur auf der Satzebene hervorrufen und somit den Satz als Ganzes verändern. Satzfiguren werden unterteilt in: 1. Kontakt, 2. Gedankenführung und 3. Erklärung & Veranschaulichung.
IV.1 Kontakt
Rhetorische Frage
ist eine Frage, auf die keine Antwort erwartet wird, da die Formulierung der Frage allein schon die Antwort gibt.
Bin ich denn dumm?
IV.2 Gedankenführung
Confessio
ist eine Lebensbeichte. Sie kommt als rhetorische Figur nicht ganz allein vor, so findet man sie vor allem im barocken Schelmenroman z.B. in Der Abentheuerliche Simplicisimus Teutsch. Somit ist das gesamte Buch als confessio zu verstehen.
Correctio
ist eine Selbstkorrektur. Auch sie findet man nicht in der Literatur, sondern mehr in der (freien) Rede. D.h., wenn jemand einen Satz beginnt, den sie/er von Neuem beginnt, weil sie/er einen Fehler gemacht hat.
Praeteritio oder Paralipse
ist ein Übergehen. Ein/e Redner/in, ein/e Autor/in gibt vor, etwas nicht anzuführen, sagt es aber dann trotzdem.
Ich gehe jetzt nicht auf meinen Nachbarn ein und sage, dass er ein übler Kerl ist.
IV.3 Erklärung & Veranschaulichung
Enumeratio
ist eine Aufzählung ohne Nennung des Oberbegriffes.
Kinder, Erwachsene und Alte – alle lieben das Buch.
Descriptio
ist eine kunstvolle Beschreibung von Personen, Orten und Dingen…
Vergleich
In einem Vergleich werden Ähnlichkeiten oder Unterschiede in Bezug gesetzt. Er braucht immer einen Vergleichspartikel (z.B. als, wie), wenn nicht, handelt es sich wahrscheinlich um eine Metapher.
Er ist stark wie ein Löwe.
Exemplum
ist eine Anführung eines konkreten Falles als Ergänzung zu einem abstrakten oder hypothetischen Sachverhaltes.
Sententia oder auch Gnome
ist ein Sinnspruch, ein Sprichwort, geflügelte Worte.
Schreib dir das hinter die Ohren.
Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.
Bescheidenheit ist die größte Form der Arroganz.
Ohne Fleiß, kein Preis!
Axt im Haus erspart den Zimmermann. (aus Friedrich Schiller: Wallenstein)
V Stilbildungsfiguren
Unter Stilbildungsfiguren versteht man allgemein jene rhetorischen Figuren, die sich auf die Stilistik der/des Redner/in beziehen.
Archaismus
ist ein Rückgriff auf veraltete Wörter.
gülden statt golden, verstünde statt verstände
Barbarismus
meint eine Übernahme eines fremdsprachlichen Ausdrucks in die eigene Sprache.
‚Sorry‘, ‚downloaden‘
Neologismus
ist eine Wortneuschöpfung. Finden kann man sie besonders bei Rainer Maria Rilke, der gerne Neologismen schuf.
Ach, der Michael ist doch eh ein Nureinbiertrinker.
Anakoluth
ist ein Satz- oder Redeabbruch. Auch diese rhetorische Figur findet man nicht in der Literatur, sondern nur in einer Rede. Jemand beginnt einen Satz und führ ihn anders weiter.
VI Tropen
Das ist ein Überbegriff für eine bestimmte Gruppe rhetorischer Figuren und bezeichnet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen, der allerdings nicht gleich, sondern einem anderen Bedeutungsfeld zugehörig ist. Eingeteilt werden die Tropen in 1. Grenzverschiebungs- und Sprungtropen.
VI.1 Grenzverschiebungstropen
Periphrase
ist eine Umschreibung eines Wortes durch mehrere Worte anstatt des zu umschreibenden Begriffes.
Halbgötter in Weiß
das Heilige Land
der Listenreiche bestieg das Schiff
das Auge des Gesetzes
der Allmächtige
jenes höhere Wesen, das wir verehren
Euphemismus
ist eine beschönigende Bezeichnung für einen meist unangenehmen Ausdruck.
Konzentrationslager
Wie ist es ihm gestern noch ergangen? – Er ist friedlich eingeschlafen.
Hyperbel
ist ein Wurf über das Ziel, eine bewusste Übertreibung
Wo Finsternis aus dem Gesträuche / mit hundert schwarzen Augen sah.
aus: Johann Wolfgang von Goethe: Willkommen und Abschied.
Metonymie
ist eine Bezeichnung für einen Begriff durch ein Wort, das damit logisch, räumlich… zusammenhängt; eine Namensvertauschung.
Er stieß ihm das Eisen zwischen die Rippen.
Mein Nachbar ist abgebrannt.
VI.2 Sprungtropen
Metapher
ist ein Wort in einem Zusammenhang, durch den es so bestimmt wird, dass es etwas anders meint, als es bedeutet; etwas schwer Fassbares.
Mein Nachbar ist abgebrannt.
einer Person nicht das Wasser reichen können
einem das Herz brechen
Personifikation
meint ein Ding, eine Sache zum Mensch werden zu lassen.
Justitia hat gesprochen.
Der Abend wiegte schon die Erde (aus: Johann Wolfgang von Goethe: Willkommen und Abschied.)
Allegorie
ist eine bildliche Rede, eine fortgeführte Metapher. So ist zum Beispiel Der böse Geist des Lumpazivagabundus eine Allegorie auf der Wunsch nach Frieden nach den Napoleonischen Kriegen.
Katachrese
ist eine missbräuchliche Verwendung eines Begriffes.
Kartoffeln pflücken
ein Glas trinken
Ironie
ist eine Verstellung, eine Bezeichnung für einen Sachverhalt durch sein Gegenteil. Auch diese rhetorische Figur kann man wie die Allegorie nicht aus einem Satz herauslesen, sondern aus dem Gesamtkontext.
Quelle:
Die Definitionen beziehen sich allesamt auf
Carmen Rob-Santer / Lothar Kolmer: Studienbuch der Rhetorik. UTB 2002.