Mittelalterliche Literatur

 

Das Mittelalter (= MA), das von ca. 400 bis 1492 dauerte, mutet uns heute wie eine Art "heroisches Zeitalter" am Beginn unserer tradierten Geschichte an - ähnlich wie etwa der Wilde Westen in den USA. So ist auch die Faszination der mit dieser Zeit verbundenen Erzählmuster noch immer verspürbar. 

 

1. Die mittelhochdeutsche (=mhd.) Literatur

 

Man muss einiges über die Gesellschaft des Hochmittelalters wissen, um die Eigenart seiner Literatur und seiner Idealvorstellungen verstehen zu können. 

 

a) Eine Interpretation der mittelalterlichen Literatur als "National-Literatur", wie sie sich im Gefolge der deutschen Romantik (die das Mittelalter zu Beginn des 19. Jh.s eigentlich erst wieder entdeckt hat) immer wieder unternommen wurde, entspricht nicht der Realität. Die mittelalterliche Kultur war eine Mischkultur, die sich aus antiker Philosophie, christlichem Glaubensgut und germanischer Tradition zusammensetze. Die antiken und christlichen Elemente wurden dabei auch oft mit islamisch-arabischen Denk- und Literaturformen verschmolzen. Darüber hinaus war das MA durch eine äußerst enge Verflechtung der angelsächsischen, französischen, italienischen und spanischen Literatur gekennzeichnet. 

b) Über die meisten Autoren (sehr selten: Autorinnen) der mittelalterlichen (= ma.) Literatur liegen uns wenige bis keine außerliterarischen Dokumente vor. Auch die Texte selbst sind auf andere Weise tradiert worden als die literarischen Werke nach der Erfindung des Buchdrucks. So kennen wir etwa die ma. Lyrik nur durch Sammelhandschriften, die zum Teil erst 50 bis 100 Jahre nach Entstehen der Texte angelegt wurden. Eine absolute Ausnahme ist in dieser Hinsicht allerdings der bedeutendste Lyriker des Spätmittelalters, Oswald von Wolkenstein (1377 - 1445), ein Landadeliger aus Tirol, der sich virtuos aller vorliegenden Formen der mhd. Lyrik bediente. Sein Leben ist aus vielen Urkunden dokumentiert, und er ließ selbst mindestens zwei Sammlungen seiner Werke zu. 

c) Die in der ma. Literatur erhaltene "Realität" sollte nicht voreilig mit der tatsächlichen Lebenswirklichkeit dieser Zeit identifiziert werden. Vor allem die ritterlich - höfische Dichtung drückt eher aus, wie sich die Gesellschaft, für die sich geschrieben wurde, selbst sehen wollte, als dass sie ein realistisches Bild der Zeitumstände wiedergibt. 

 

2. Die ma. Gesellschaft und ihre Literatur

 

Die Menschen des MAs führten im Allgemeinen eine überaus unsichere Existenz: Gewalttaten und schwere Krankheiten waren alltägliche Erscheinungen. Dennoch probiert eine Menge an Texten zu dieser Zeit, die Impression einer überaus stabilen Lebensordnung zu erwecken. 

 

Die ma. Gesellschaft war nach dem Dichter Freidank in gottgewollter Stabilität in Stände eingeteilt: "Got hat driu leben geschaffen: gebure, ritter unde pfaffen." Was Freidank hier als Geistliche und Ritter bezeichnet, die klerikale und weltliche Oberschicht also, machte damals zwei Prozent der Bevölkerung aus. Die große Mehrheit der Bauern und kleinen Handwerker lebte in Abhängigkeit von ihren Grundherren, denen sie zunächst zu regelmäßigen Zinsleistungen verpflichtet war. Aus dieser Abgabenverpflichtung ergab sich später die Leibeigenschaft oder die totale Hörigkeit. Der Grundherr hatte alle Rechte, er war Steuereinnehmer, Richter und Gesetzgeber in Personalunion. Die Bauern waren nicht nur die Ernährer der Gesamtheit des Volkes, sondern trugen auch die Hauptlast in Kriegszeiten. 

 

Das Lehenswesen charakterisierte die ma. Gesellschaft. Das war das Verhältnis zwischen Lehensherren und Vasallen  (= Feudalismus). Der Lehensherr verpflichtete sich zu Schutz und Schirm, der Lehensmann zu Rat und Hilfe (Kriegsdienst). Diese gegenseitige Bindung wurde truiwe (mhd. 'Treue') genannt. Die Treue war ein zentraler Begriff dieser Zeit. Zur persönlichen Bindung kam das für Dienst vergebene Lehen (meist Ländereien, aber auch Ämter und besondere Rechte). Der frühma. Staat beruhte also nicht (wie ein moderner Staat) auf abstrakten Herrschaftsstrukturen, sondern auf mannigfachen konkreten Bindungen und Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Personen. Erst im 13. Jh. lösten sich Angehörige des Hochadels etwas von der Oberhoheit des Königs und bildeten geschlossene Territorien. In diesen Herrschaftsbereichen formte sich in der Folge erstmals ein moderner, bürokratisch verwalteter Staat mit an Gesetze gebundener Herrschaft aus. Der Konflikt zwischen König und Landesherren sollte in der Folge die politischen Geschehnisse prägen. 

 

Um 1180 traten an die Stelle der Geistlichen die Mitglieder der weltlichen Höfe als Literatur tragende Schicht. In den nun entstandenen weltlichen Dichtungen wurden die Idealvorstellungen der höfischen Gesellschaft ausgedrückt, die sich im Medium der Literatur ein neues Selbstverständnis aufbaute. Der Vortrag dieser Dichtungen w, urde zum wesentlichen Bestandteil des höfischen Festes, in dem sich eine exklusive Gesellschaft selbst feierte. 

 

Zwischen Kirche und Kaisertum bildete sich hingegen ein immer deutlich werdender Konflikt aus: Die Kirche hatte Karl dem Großen als einigende Kraft beim Ausbau des karolingischen Reichs gedient. Sie erhob jedoch zunehmend Autonomieansprüche. Der Kampf zwischen sacerdotium und imperium, zwischen geistlicher und weltlicher Macht gipfelte letztlich im Investiturstreit (1049 - 1122), in dem es darum ging, ob der Papst oder der Kaiser dazu befugt sei, Bischöfe einzusetzen. 

 

Das folgenreichste Ereignis dieser Zeit waren allerdings die Kreuzzüge. Die drei wichtigsten Argumente der ma. Kreuzzugspropaganda waren: der Kreuzzug sei eine gottgewollte Handlung; die Gegner, verdammt und böse, seien zu taufen oder zu töten; und die Teilnahme daran wurde durch teilweise oder totale Sündenvergebung belohnt. Auch später wurde die Idee des Heiligen Krieges immer wieder eingesetzt, etwa gegen die christlichen Ketzer (z.B. Albigenser). 

 

Für die Angehörigen der höfischen Gesellschaft bedeuteten die einsetzenden Kreuzzugsfahrten durch den Kontakt mit anderen Ländern und Kulturen eine beträchtliche Erweiterung des Horizonts. Der Einfluss fremder künstlerischer (aus Süd- und Nordfrankreich, aus der byzantinischen Kultur...) auf die deutsche Kunst und Literatur ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen. 

 

3. Das Rittertum 

 

3.1. Genese und Blüte des Rittertums im Hoch-MA

"Die Entstehung des europäischen Rittertums und seine Ausformung im hohen MA war ein komplexer Prozess, der sich in mehrere Teilprozesse spaltete: 1. in der Begrifflichkeit, 2. in militärgeschichtlichen Innovationen, 3. in sozialgeschichtlichen Entwicklungen, 4. in einem grundlegenden zivilisatorisch-wertegeschichtlichen Wandel, verbunden mit der Ausbildung besonderer 5. ritueller und 6. literarisch-erzählerischer Formen. Sozialgeschichtliche-politische und "kulturelle" Aspekte waren dabei in mannigfacher Weise verwoben. 

 

3.1.1. Begrifflichkeit:

Dem deutschen Ritter ("Reiter") entspricht im Lateinischen miles und - seltener - eques (für Ritterschaft steht militia oder ordo equestris), im Französischen chevalier, im Italienischen cavaliere (beides von der volkssprachlichen Bezeichnung für Pferd abgeleitet), im Englischen knight. Neben der ritterlich-höfischen Literatur dokumentieren Zeugenlisten der Urkunden, in denen der Rittertitel auftritt, und die lateinische Historiographie die Attraktivität der ritterlichen Lebensform. 

 

3.1.2. Vom Krieger zum Ritter:

Die Veränderung der Heeresorganisation, die seit dem 9. Jh. die frühma. Bauernkrieger durch Berufskrieger ersetzte, etablierte die militärische Bedeutung des Panzerreiters, der bis heute die Vorstellung eines Ritters bestimmt: ein in Rüstung auf dem Pferd sitzender Krieger, bewaffnet mit Helm, Schild, Schwert und Lanze. Auf dem Schild identifizierte seit der Mitte des 12. Jh. das Geschlechtswappen den Ritter. Als Herrschaftssymbole wurden - zunehmend seit dem 11. Jh. - in ganz Europa vom Feudaladel befestigte (Höhen-)Burgen errichtet, die weitgehend an die Stelle der zuvor in den Siedlungen gelegenen Herrensitze traten.

 

3.1.3. Adel und Hof:

Das Aufkommen des Rittertums ist eng mit der Ausformung der Vasallität und des Lehenswesens verknüpft (= Feudalismus), aber auch mit den Formierungsprozessen des Adels als Stand. 

In Deutschland umschloss das Rittertum als gesellschaftliches Forum der Integration den hohen Adel und die aus der Unfreiheit kommende Ministerialität der abhängigen Dienstleute gleichermaßen. Exemplarischer Ort des Rittertums war der Hof, die curia des Königs oder Fürsten. Dass auch die städtischen Oberschichten Anteil an der höfisch-ritterlichen Kultur hatten, darf in Anbetracht der lange dominierenden klischeebehaftenden Gegenüberstellung von "ritterlicher" und "bürgerlicher" Welt nicht unerwähnt bleiben. 

 

3.1.4. Höfische Zivilisation und Werte:

Die Regeln der "höfischen" Kultiviertheit, die gutes Benehmen ("ritterliche" Zucht), Urbanität und Körperbeherrschung verlangten, verbreiteten sich, von gelehrten Klerikern unter Rezeption antiker Vorlagen entwickelt, von den höfischen Zentren aus unter der Aristokratie. Bis heute sind "Höflichkeit" und "Courtoisie" als Bezeichnungen feiner Umgangsformen üblich - ebenso wie "Kavalier" und "ritterlich" verweisen sie auf wertegeschichtliche Kontinuitäten. Tonangebend war im 12./13. Jh. die französisch-provenzalische Kultur. Religiöse Ethik sollte den wilden Haudegen disziplinieren, ihn zum "miles christianum" formen. Große Bedeutung kam der Gottesfriedensbewegung zu, die das Fehdewesen und die adelige Gewalt eindämmen wollte, und dem Kreuzzugsgedanken, der den Ritter als Heidenkämpfer entwarf. Prägnant formulierte 1095 der Aufruf zum Kreuzzug von Papst Urbanus II.: "Aus Räubern sollten Ritter Christi werden". Die geistlichen Ritterorden - am bedeutendsten waren die Templer (1312 aufgehoben), die Johanniter und der Deutsche Orden - nahmen dieses Programm auf, indem sie religiös-monastische Lebensform mit ritterlichem Kampf verbinden wollten. 

Auch wenn das altgermanistische Konstrukt eines widerspruchsfreien ritterlichen "Tugendsystems" obsolet ist, kann an der identitätsstiftenden Verbindlichkeit eines gemeinsamen Werteensembles und Verhaltenscodex (Treue, Freigiebigkeit...) mit dem Zentralbegriff der richterlichen "Ehre" kein Zweifel bestehen. Zu beachten ist jedoch die ständige Spannung zwischen dem aus den literarischen Quellen abstrahierten Ritterideal und einer nach heutigen Maßstäben wenig human anmutenden Herrschafts- und Kriegspraxis. 

 

3.1.5. Rituale: 

Die Initiation des Ritters erfolgte rituell in Form eines Erhebungsakts: durch die Schwertleite in Form der feierlichen Umgürtung, die im 13. und 14. Jh. allmählich abgelöst wurde durch den Ritterschlag. Bedeutsam für das Selbstverständnis der Ritter waren die Kampfspiele der "Turniere", Höhepunkte des höfischen Festes." (Reichert) 

 

Der Begriff „Turnier“, welcher frz. als tournoi und engl. als tournament bezeichnet wird, basiert auf der Idee, dass zwei meist berittene Parteien mit denselben Waffen gegeneinander kämpfen. Dabei wird eine Lanze oder ein Schwert, welches bevorzugt wird, verwendet. „[…] die charakterist. drehende Bewegung, welche die Kämpfer und ihre Pferde bei diesem Kampfspiel auszuführen hatten, hat dem T. seinen Namen gegeben.“ „Das Turnier galt als eine Frage der vuoge, des verbindlichen Anstandes, keineswegs nur als eine beliebige Zugabe. Es verfolgte keinen politischen oder territorialen Zweck, hatte den Charakter eines unterhaltsamen Spiels […].“

Der Begriff „Tjost“ hingegen bezeichnet den Umstand, dass lediglich zwei Personen, beritten oder zu Fuß, miteinander kämpfen. Dies kann mit scharfen oder stumpfen Waffen geschehen. Selten jedoch ist der synonyme Begriff „Buhurt“. Buhurt meint eine nicht ganz so brutale Art des Kämpfens.

Lotte KURRAS betrachtet den bereits erwähnten un- oder berittenen Zweikampf, den sogenannten Dscharid, als Sport, der aus dem arabischen Raum kommt. Die Tjost war ursprünglich nur für Fürsten und Ritter gedacht. In Andalusien beispielsweise wurde sie überwiegend an den Fürstenhöfen abgehalten. Zudem ist festzuhalten, dass jede Stadt im Mittelalter einen oder sogar mehrere Turnierplätze hatte, um eine Tjost zu veranstalten. Dem Vorbild des Dscharids gemäß wurde diese Tradition zuerst von Frankreich und dann später von Deutschland übernommen.

Jeder dieser Kämpfe wurde mit der Lanze begonnen, dann folgte ein Kampf mit dem Schwert, und der Zweikampf wurde dann mit einem Ringen am Boden abgeschlossen, wenn nicht schon vorher eine Entscheidung gefallen ist: Die Ritter gingen mit eingelegter Lanze aufeinander los. Sie versuchten, den anderen mit Hilfe eines Stoßes bügellos zu machen. Falls beim Tjostieren keine Entscheidung getroffen wurde, musste zum Schwert gegriffen werden. Somit sprangen die Reiter von den Pferden und begannen einen sogenannten Fußkampf. Mit Hilfe von Schlägen versuchten sie, ihren Gegner zu Boden zu bringen, indem sie ihn entweder durch Schläge auf den Helm bewusstlos machten oder ihn damit einfacher auf die Erde manövrieren zu können. Die Tjost war sehr anstrengend, und es brauchte viel Training, um sie bestreiten zu können.

„Die Tjost war das aufregendste Kampfspiel, ein Lanzenstechen zwischen zwei berittenen Gegnern. Dabei galt es also, den Gegner mit einer schweren, hölzernen Lanze aus dem Sattel zu heben.“ Zu konstatieren ist auch, dass die Turnierrüstungen viel schwerer waren als die Kampfrüstungen. Außerdem waren die Pferde mittels Strohmatten vor Verletzungen geschützt. Trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen kam es nicht selten zu einem Todesfall.

Die Tjost fand meist einen Tag vor dem Turnier, genannt Vesperie, statt und ihr Ende wurde bei Sonnenuntergang eingeläutet, meist verkündet durch Trommeln und Trompeten:

„Waren nicht alle Ritter durch das Tjostieren kampfunfähig geworden, so folgte am Haupttage des Festes wenigstens für die noch Unverletzten, das eigentliche Turnier. Dies war nun nicht mehr ein Einzelkampf, sondern ein Massengefecht, wobei jeder seinem Freunde gegen dessen Widerpart zu Hilfe eilen konnte.“

Einen offiziellen Beginn des Turnierkampfes gab es nicht. Die erste Phase eines Turniers war die Tjost. Der Sieger des Tjostierens bekam neben Ruhmesblättern auch das Pferd des Besiegten. Die Einzelkämpfe begannen am späten Nachmittag vor dem Tag des eigentlichen Turniers.

Von Beginn an galt das Stechen als Eröffnungsmanöver im Massenturnier. Seit dem 12. Jahrhundert tritt es auch als Einzelkampf auf. „Das Stechen bietet mit dem Anrennen, Stoß, der Zersplitterung der Speere und dem eventuellen Sturz des Gegners, oder aber auch beider Ritter, eine anschauliche Dynamik.“ Die Tjost war zudem viel einfacher zu organisieren als ein Massenturnier, da sich viele Variationsmöglichkeiten anboten. Vor allem ist hier zu festzustellen, dass das Stechen mit stumpfer Waffe ausgeführt wurde, der Fußkampf hingegen mit scharfer Lanze. Es kam aber auch auf die genaue Platzierung und Handhabung des Speeres an:

„Beim ‘Gestech‘ (tjost) traf der besonders dicke und schwere Stechspeer mit der Wucht des vollen Galopps auf den Gegner. Gefährdet waren dabei Hals- und Kinnpartie des Helms, Brust und linken Schulter, beide Hände und – obwohl dies nicht sein sollte – der Kopf und die Brust des Pferdes.“

Um mit allen Mitteln die verletzten Ritter zu versorgen, standen Wundärzte und Knappen bei dem Stechen bereit. Zudem wurden auch die Regeln etwas verändert. Die Ritter standen ungefähr 20 cm oberhalb des Sattels – mit ausgestreckten Beinen –, sodass sie nicht mehr so schnell vom Pferd abgeworfen werden konnten. Diese Art des Stechens, genannt Gestech im hohen Zeug, war allerdings nur in Deutschland verbreitet. In allen anderen Gegenden wurde der Sturz vom Pferd auf natürliche Art und Weise bevorzugt.

Nachdem nun geschildert wurde, welche Arten des Turniers es gibt, soll nun kurz darauf eingegangen werden, warum turniert wird. Es gibt fünf wichtige Gründe, warum turniert wird; dabei stehen die physische bzw. militärische Übung, das Prestige, die Gewalt bzw. Erotik, das Spektakel und die Karriere im Vordergrund.

Das körperliche Üben ist mit höchster Wahrscheinlichkeit einer der wichtigsten Teile der militärischen Ausbildung. Johann Rothe empfiehlt wie viele andere in seinem Ritterspiegel aus dem Jahre 1484 das Laufen, Springen, Ringen, Werfen, um zu verhindern, dass die Adeligen verweichlichen, aber auch als Vorübung, falls es zu einem Krieg kommen sollte .

In diesen Übungen, die der Kriegsvorbereitung dienen, wird im Turnier nicht nur der Gebrauch von Lanze und Schwert und die Handhabung des Harnisches trainiert, sondern auch das Kämpfen innerhalb einer Gruppe. Das ist insofern wichtig, als es zur damaligen Zeit noch keine Militärakademien oder große Manöver gegeben hat.

„Die ritterliche Erziehung geht aber über die bloße Erlernung des Kriegshandwerks hinaus. Suchenwirt preist das Turnier als ethische Schule, in der Prahlerei, Unehrlichkeit und Hochmut mit Prügel bestraft werden. Auch der spanische Beobachter des Schaffhausner Turniers führt unter den Funktionen die Züchtigung der Edelleute [sic!] das eine unehrenhafte Leben führen, an. Tatsächlich ist gerade dieser Punkt in den Turnierordnungen besonders hervorgehoben worden.“

Die Züchtigung oder Bestrafung des Führens eines unehrenhaften Lebens erschien als Demonstration in der Öffentlichkeit der Ethik des Adels. Jegliche Verstöße werden mit genau festgelegten Strafen geahndet.

„Aber nicht nur der von den Rittern geforderte Verhaltenskodex wird im 15.Jh. strenger gehandhabt, sondern auch der Zugang zum Turnier allgemein erschwert.“ Deswegen müssen alle Ritter ihre Familienwappen und Helme vorführen. Diese Vorführung ist aber nicht das Einzige; sie müssen auch ihre Herkunft mittels Urkunden belegen. „Damit konnte man nach den großen Kriegen des Jahrhunderts überprüfen, wer vom Adel übriggeblieben war, in welchem stand er sich nun befindet, wer neue Titel erworben hat und wer ausgeschieden ist […].“ Dass das der Fall ist, liegt darin begründet, dass dies als Reaktion des höheren Adels verstanden werden kann, da der niedere Adel und das Finanzbürgertum ihm immer mehr in den Weg kommen. „Die Turnierfähigkeit ist aber nun die Voraussetzung des Adels, die Teilnahme am Turnier der deutlichste Beweis des Aufstiegs und sichtbares Zeichen dieser Zugehörigkeit.“ Das Teilnehmen am Turnier ist also folglich Prestigesache.

Das Turnier ist aber auch eine Art Kanalisation für Gewalt; es kompensiert die Kampfeslust des Junkers und des jungen Patriziers. Somit können sie ihren Aggressionen freien Lauf lassen. Zu dieser Gewaltkompensation kommt die Erotik hinzu, denn seit dem beginnenden 13. Jahrhundert sind die adeligen Damen bei den Turnieren regelmäßig dabei. „Viele, und besonders die französischen und burgundischen Turniere, werden “pour l’amour des Dames“ gehalten. Man bricht nach den vorgeschriebenen Tjosten eine zusätzliche Damenlanze, erwählt einen Damenritter und erhält von den Damen die sog. “favours“.“ Diese sind kleine Aufmerksamkeiten der Damen wie Gürtel, Schleier oder Armbänder, um den kämpfenden Rittern Mut zu machen. „Ähnlich wie bei heutigen Sportveranstaltungen herrschte beim Turnier eine fast hysterische Aufregung. Das splitternde Holz der gebrochenen Lanzen, die Zerstörung von Stoffen und Zimieren führt zu einer hohen emotionellen Erregung von Publikum und Kämpfenden.“

Neben der Ausbildung, der Erotik und der Gewalt spielt aber auch das Spektakel eine tragende Rolle. Im 13. Jahrhundert gibt es schon sensationelle Aufzüge und Verkleidungen. „Seit dieser Zeit haben die Artusromane Eingang in das Turnier gefunden und erreichen in Burgund unter Philipp den Guten ihren Höhepunkt.“ Bei einem Turnier wird über das Regelwerk des Rittertums debattiert und die Ritter selbst konnten vor den großen Versammlungen ihre Stärke präsentieren; wie jedes Fest war auch das Turnier eine Möglichkeit zum Flüchten aus dem Alltag.

 

Dieses Präsentieren der Stärke beim Spektakel hat aber nicht nur den Sinn, sich zur Schau zu stellen; ein Ritter will anerkannt werden. „Im Turnier ist alles darauf angelegt, Mut, Kraft und Geschicklichkeit des einzelnen effektvoll dem Publikum vor Augen zu führen.“ Dieses Zur-Schau-Stellen ist insofern wichtig, als es für einen Ritter enormen Wert haben kann, auch wenn der das Turnier verliert oder von einem unbedeutenden bzw. unbekannten Geschlecht abstammt, da das Turnier über seinen weiteren Verlauf der Karriere maßgeblich entscheiden sein kann.

 

3.1.6. Ritterlich-höfische Dichtung: 

"Die faszinierendste Hinterlassenschaft des hochma. Rittertums ist die Hochblüte der volkssprachlichen Literatur im 12. und 13. Jh., in deren Hauptgattungen - höfischer Roman und Lyrik der Troubadours und Minnesänger - den ritterlichen Werten zentrale Bedeutung zukommt. Antike Stoffe wurden aufgegriffen, Chrétien de Troyes begründete den abenteuerlichen Artusroman und fand in Hartmann von Aue und anderen mhd. Autoren bedeutende deutsche Nachfolger, Minne wurde zum beherrschenden Thema der Erzählung im Tristan des Gottfried von Straßburg und in weiteren Epen, und im Parzival diskutierte Wolfram von Eschenbach religiöse Grundfragen ritterlicher Existenz. Das Bild wäre freilich unvollständig, ohne einen Hinweis auf die mittellateinische Literatur, die sich der "Renaissance des 12. Jh.s" verdankt und ebenfalls die Aufbruchstimmung der Zeit erkennen lässt. Höfische Werte aber auch die "chansons de geste" und die Heldenepik." (Reichert)

 

 

4. Der Minnesang

 

4.1. Ein Überblick

"Der Begriff „Minnesang“ oder „Minnelyrik“ bezeichnet verschiedene mittelhochdeutsche Formen der Liebesdichtung, vom 12. bis maximal ins 14. Jahrhundert. Minnedichter waren dabei immer Komponisten, Dichter und Vortragende zugleich.

Der Begriff ‚Minne‘ wird dabei gern einfach als ‚Liebe‘ übersetzt, doch beinhaltet er eigentlich viel mehr Facetten. So ist er auch eine Bezeichnung für Nächstenliebe, religiöse Liebe (z.B. die Liebe Gottes zu den Menschen), Freundschaft und Elternliebe – sinnliche Liebe und Zuneigung stellt also nur eine von vielen Bedeutungen dar. Unbedingt zu beachten ist dabei auch, dass Minne keineswegs nur im Minnesang thematisiert wird – auch wenn die Begrifflichkeit das suggerieren kann. Gerade das Liebesbild der hohen Minne tritt nämlich umfangreich auch im höfischen Roman auf, beispielsweise im Eneasroman.

 

4.2. Entwicklung und Geschichte

Wohl schon vor dem frühen 12. Jahrhundert gab es in den deutschen Landen eine Art Minnesang, den sogenannten donauländischen Minnesang, von dem aber nicht viel erhalten ist. Der eher bekannte, romanische, Minnesang entstand um 1100 im Süden des heutigen Frankreichs, der damals jedoch nicht zum Frankenreich gehörte, sondern aus selbstständigen Herrschaften bestand. Die dortigen Minnesänger wurden Trobadors genannt und brachten eine ganz neue Kunstform nach Europa.

Das Spezifische dieser Kunstform ist vor allem das besondere und dabei ganz neue Liebesmodell: Im Mittelpunkt steht die Liebe und Verehrung des Sängers zu einer verheirateten adligen Dame (vrouwe), die auch während des Vortragens anwesend war. Diese Liebe wird zwar im Gesang als vornehm und wahr dargestellt, bezeichnete aber kein reales Verhältnis.

Der Sänger warb um eine Dame und beteuerte seine Treue und Dienstbereitschaft. Die Liebe beeinflusste, ja quälte mitunter, seinen gesamten Körper und bedeutete ihm dabei alles. Die Liebe selbst und vor allem die sichere Gefahr, dass sie nicht erfüllt werden würde, wird teilweise sogar so mächtig dargestellt, dass der Sänger daran zu zerbrechen drohte. Problematisch war dabei natürlich, dass die Dame verheiratet war und die gesellschaftlichen Zwänge damit die Liebe dazu verdammten, unerfüllt zu bleiben. Die Liebe wurde dabei keineswegs negativ gedeutet. Vielmehr wurde ihre Aufrichtigkeit und Beständigkeit betont und solange sie unerfüllt blieb, galt sie sogar als richtig und wertvoll.

Dieses Liebesmodell verbreitete sich im Laufe des 12. Jahrhunderts zunehmend im Norden Europas und erreichte ab etwa 1170 auch die deutschen Minnesänger. Bis etwa 1320 sollte die romanisch gefärbte Minnelyrik nun zu einer der beliebtesten Künste an den deutschen Höfen werden.

 

Insgesamt lassen sich so vier Phasen des deutschen Minnesangs unterscheiden:

 

Phase

Zeit

Charakteristika

Vertreter

1

Mitte des 12. Jahrhunderts

donauländischer Minnesang (bis 1170):

  • natürliche Auffassung von der Liebe
  • vergleichsweise ungekünstelt
  • aber: durchaus standesgebundene Formen und Symbole
  • die Ursprünge dieser nicht ganz eigenen Gattung sind bisher unbekannt 

    außerdem: früher romanischer Minnesang

Dietmar von Aist 







Rudolf von Fenis

2

1170-1190

hoher Minnesang

  • v.a. im Ober- und Mittelrhein
  • im Vordergrund steht der Frauendienst, also das Dienstverhältnis zwischen Ritter und höfischer Dame
  • zentrale Begriffe: triuwe (Treue), mâze (Maß, Bescheidenheit), hôher muot (Hochstimmung, Stolz)
  • gerade der Minnesang dieser Zeit wurde häufig mit der Kreuzzugsthematik verbunden

Heinrich von Veldeke 
Friedrich von Hausen

3

1190

Höhepunkt

  • die Macht und Gnadenlosigkeit der Minne wird immer mehr hervorgehoben – auch in anderen Gattungen
  • Auftreten der niederen Minne

Heinrich von Morungen 
Reinmar der Alte 
Walther von der Vogelweide

4

13. Jahrhundert

Ausklang

  • Form und Themen wurden zunehmend variiert und zugleich die hohe Minne immer wieder parodiert
  • Nachfolge: Meistersang

Neidhart von Reuental, Heinrich von Meissen

 

4.3. Arten des Minnesangs

 

Das Thema der Minnelyrik war – zumindest in der hohen Minne – prinzipiell relativ gleich: Ein Mann umwarb eine höfische Dame, der es nicht gestattet war, seine Liebe zu erwidern. Die Aufgabe des Dichters bestand darin, diese Thematik immer wieder neu zu gestalten, zu ergänzen und so immer neu zu entfalten. So werden heute v.a. folgende vier Arten des Minnesangs unterschieden:

 

Minnekanzone

Bitte des Sängers, erhört zu werden, die oft mit einer entsprechenden Klage über seinen Misserfolg verbunden ist.

Frauenlied

Die umworbene Dame reflektiert über ihren Konflikt, d.h. über ihre – meist aussichtslose – Position zwischen Liebe und gesellschaftlicher Norm.

Wechsel

Mann und Dame singen und schwärmen abwechselnd übereinander.

Tagelied

Im Tagelied wird erzählt, wie sich das Paar nach einer heimlichen Liebesnacht voneinander trennen muss, um nicht entdeckt zu werden.

 

Hohe und niedere Minne

Die bisherigen Ausführungen bezogen sich v.a. auf die hohe Minne, bei der es sich eher um ein Gesellschaftsspiel handelt, da die Liebe nicht echt ist. Eine unerreichbare Frau hohen Standes wurde hier idealisiert und erhöht, Ende des 12. Jahrhunderts traten dabei sogar erotische Beschreibungen auf – insgesamt blieben hôher minne aber eher platonisch.  Meist ging es bei der hohen Minne darum, dass der Sänger seine eigene höfische Gesinnung zeigt und die ideale höfische Gesellschaft aufzeigt – eine Gesellschaft, in der Ritter mâze, triuwe und Unterwürfigkeit, Damen Emotionalität und Disziplin zugleich zeigen, kurzum beide sich ihrer gesellschaftlichen Position bewusst sind. Dementsprechend beinhalten Lieder der hohen Minne auch recht fest abgesteckte Themenkreise: Typisch ist das Besingen der Frau, v.a. bezogen auf ihre Schönheit, die Beschreibung der Macht der Minne und die Klage des lyrischen Ichs über die Unerfüllbarkeit seiner Liebe.

 

Anders sieht es in der niederen Minne aus, die erst am Ende des 12. Jahrhunderts auftritt. Hier geht es um echte Liebe zu ‚erreichbaren‘, also nicht adeligen, Frauen, sodass auch die Erfüllung der Liebe thematisiert wird. Der Begriff rührt insbesondere daher, dass Adel und Klerus ‚ihre Liebe‘ als zivilisiert, diszipliniert und damit höherstehend ansahen und diese Eigenschaften zugleich den niederen Ständen absprachen. Die niedere Minne beschreibt sowohl die körperlichen Eigenschaften der besungenen Personen als auch die Durchführung von Liebeshandlungen mit Diesen. ist insgesamt durchaus mehr von Körperlichkeit und Nähe geprägt und wirkt gerade auch dadurch deutlich authentischer." (Koester)

 

zurück zu Literaturgeschichte

 

Quellen:

William Henry Jackson, Das Turnier in der deutschen Dichtung des Mittelalters. In: FLECKENSTEIN, Josef (Hg.): Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums. Göttingen 1985: Vandenhoeck & Ruprecht.

Pauline Köster, Grundlegendes zum Minnesang, online unter: http://wikis.fu-berlin.de/display/editionmhd/Grundlegendes+zum+Minnesang [07.August 2016].

Dario Lanzardo, Ritter-Rüstung-Der eiserne Gast. Ein mittelalterliches Phänomen. Callway: München 1990.

Manfred Mittermayer et al., Das Mittelalter. In: Diess., Abriss der deutschsprachigen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Lehr- und Arbeitsbuch. 3. Überarbeitete Neuauflage. Braumüller: Wien 1999. 

Hermann Reichert, Literaturgeschichte III. Sommersemester 2010. Facultas: Wien 2010.

Andrea Ruis, Die Inszenierung eines Turniers. Ritterspiele im 15. Jahrhundert. oV: München 1987.